Coordonat de Sabin DRĂGULIN
Volum VI, Nr. 2 (20), Serie noua, martie – mai 2018
Versuch einer Rekonstruktion von
Bismarcks Rolle im Ersten Weltkrieg anhand
von zeitgenössischen und heutigen Dokumenten
(An Attempt to Reconstruct Bismarck’s Role
in World War I Through Documents of
that Period and Current Ones)
Ursula OLLENDORF
Abstract: In order to examine the historical period of World War I and Bismarck’s role in it, this article is based on the theory of Berger /Luckmann in their book The Social Construction of Reality. Such a theory demonstrates the reality, in a particular way, this historical period which is reconstructed by using documents of that time as well as current articles.These articles deal with discussing a plan to eliminate some of those monuments of Bismarck present in many locations of Germany.While negative emblems that identified the horrors of World War II that have been untouched for all these years, those monuments of Bismarck seem to emanate the volition to eradicate those memories.On the occasion of the Centenary of the end of World War I, I am grateful to have the opportunity to examine Bismarck’s role, who even as a dead man , influenced everybody with such authority which lasted throughout the Great Conflict. It is here that I feel it is my due to relate the facts with subjectivity and awareness that History is to be reported without hate.
Keywords: Otto von Bismarck – the Bismarck Myth – the Great Conflict – the German Reich – Republic of Weimar – World War I –
Anstelle einer eigenen Einleitung
Ich „stehle“ die einleitenden Worte von Paul Feyerabend zu seinem Buch „Wider den Methodenzwang“, in der Hoffnung, der vorliegende Essay, der anlässlich des 100sten Jahrestages des Endes des Ersten Weltkrieges entsteht, möge durch Sprache den Blick auf die Möglichkeit einer friedvollen Gesellschaft freigeben, deren Vorstellung von Fortschritt in der Entwicklung von gemeinsamer Kultur besteht.
„Vernunft und Wissenschaft gehen oft verschiedene Wege. Ein heiterer Anarchismus ist auch menschenfreundlicher und eher geeignet, zum Fortschritt anzuregen, als „Gesetz- und Ordnungs“-Konzeptionen.
Der vorliegende Essay (so Feyerabend) wurde in der Überzeugung geschrieben, dass der Anarchismus vielleicht nicht die anziehendste politische Philosophie ist, aber gewiss eine ausgezeichnete Arznei für die Wissenschaften und die Philosophie.
Der Grund dafür ist nicht schwer zu finden.
„Die Geschichte im allgemeinen und die Geschichte der Revolutionen im Besonderen ist stets inhaltsreicher, mannigfaltiger, vielseitiger lebendiger, ‚vertrackter’, als sich der beste Historiker und der beste Methodologe vorstellen können“.(1) Die Geschichte ist voll von „Zufällen, Verbindungenund merkwürdigen Kollisionen von Ereignissen“(2), und zeigt uns „die Kompliziertheit der menschlichen Entwicklungund die Unvorraussagbarkeitder letzten Folgen irgendeiner menschlichen Handlung oder Entscheidung.“(3) (…) Und liegt es nicht auf der Hand, dass eine erfolgreiche Teilnahme an einem solchen Vorgang (gemeint ist der Vorgang der mein-methodischen Analyse, U.O.) nur einem rücksichtslosen Opportunisten möglich ist, der an keine bestimmte Philosophie gebunden ist und jede gerade geeignet erscheinende Methode anwendet?1
Aber nun zum Thema:
Wie entsteht eine Legende?
Das Phänomen, dass unser Gehirn einen Zusammenhang herstellt zwischen zwei voneinander völlig unabhängigen Bildern, ist aus dem Film hinreichend bekannt. Ohne dieses Phänomen wäre Film praktisch gar nicht möglich.
zu beiden Fotos: Bismarck schaut auf den Familienbesitz
zu beiden Fotos: Bismarck schaut auf den nach ihm benannten Dampfer.
Es verwundert, dass weit weniger bewußt zu sein scheint, dass unsere Worte ein und dasselbe Ereignis sehr unterschiedlich darstellen können. „Mit seiner Fähigkeit zur Kommunikation drückt der Mensch sich aus,(…)der Mensch vermag sie (die Sprache) als Machtinstrument einzusetzen, um Einfluss zu nehmen, und dies im Großen wie im Kleinen, in der Politik wie auch im Privaten. In welchen Worten, Schriften oder Symbolen wir unsere Auffassungen kleiden, verrät viel über unsere Intentionen.“2 Es kann also nur der Darstellung der Figur Bismarck zu verdanken sein, dass ihm ein erheblicher Einfluss auf die Geschehnisse des Ersten Weltkriegs und der Folgezeit bis in die Zeit der Weimarer Republik zugeschrieben wird, denn er selbst erlebte den Großen Krieg gar nicht mehr.
Dennoch schreibt Robert Gerwarth in seinem Artikel „Bismarck und die Weimarer Republik“:“Kein anderer Staatsmann hat die Phantasien der Deutschen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert mehr beflügelt als der „Eiserne Kanzler“, keinem deutschen König oder Kaiser wurden mehr Denkmäler errichtet als ihm, über keinen deutschen Politiker wurde vor und seit Hiler leidenschaftlicher gestritten als über Otto von Bismarck.“3
Es bleibt darauf hinzuweisen, dass Robert Gerwarth aus heutiger Sicht schreibt. Bei der Betrachtung der Figur Bismarck greift er unweigerlich auf weitere Ereignisse in der Geschichte zurück, denn „weil Sprache das „Hier und Jetzt“ überspringen kann, ist sie fähig, eine Fülle von Phänomenen zu „vergegenwärtigen“, die räumlich zeitlich und gesellschaftlich vom „Hier und Jetzt“ abwesend sind.“4 Aber „Sprache ist (auch) dehnbar genug, mir die Objektivation der ganzen Fülle von Erfahrungen möglich zu machen, die meinen Lebensweg kreuzen. Sprache typisiert die Erfahrungen auch, indem sie erlaubt, sie Kategorien zuzuteilen, mittels derer sie nicht nur für mich, sondern auch für meine Mitmenschen Sinn haben. So wie Sprache typisiert, so entpersönlicht sie auch. Denn die typisierte Erfahrung kann prinzipiell von jedem, der in die entsprechende Kategorie fällt, erfahren werden.“5 Der Artikel vereint also alle Leser zu einer Kategorie, die imstande sind der Idee zu folgen, die Robert Gerwarth durch Zitate aus Zeitdokumenten konstruiert:
„Im Frühjahr 1921, wenig mehr als zwei Jahre nach dem Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreiches und der Geburt der Weimarer Republik aus der Kriegsniederlage und Revolution, veröffentlichte die linksliberale „Weltbühne“ einen vielbeachteten Artikel über die „Bismarck-Legende“. Der 1898 gestorbene Reichsgründer Otto von Bismarck, so die ungewöhnlich anmutende Kernaussage des Aufsatzes, stelle für die Weimarer Republik eine „schwere politische Gefahr“ dar. In der Propaganda der politischen Rechten sei der Name Bismarck zu einer Chiffre für vergangene politische Größe und die Forderung nach einem neuen Führer von „bismarckschem Format“ geworden. (…) Die „Weltbühne“ stand mit ihrer Einschätzung, dass die Erinnerung an den „Eisernen Kanzler“ und seine politische Instrumentalisierung durch die deutsche Rechte eine Bedrohung für die junge Republik darstelle, keineswegs alleine da. Zahlreiche liberale Intellektuelle wie etwa der Rechtshistoriker Hermann Ulrich Kantorowicz schlossen sich dieser Auffassung an.“6 Sehr bald wurde Bismarck nahezu zu einem Gott ähnlichen Status erhoben: „ Als „Zerstörer der Schöpfung Bismarcks und Schänder seines geheiligten Namens“ seien die Stützen des Weimarer „Systems“ – Sozialdemokraten, Zentrumskatholiken und Liberale – auf ewig mit dem Makel des Verrats behaftet.“7
Wann entstand die mythische Überhöhung?
Volker Ulrich nimmt einen anderen Zeitabschnitt unter die Lupe und führt uns zu der Erkenntnis, dass das Bild des „Eisernen Kanzlers“ im Kaiserreich durchaus nicht unumstritten war, denn „am Anfang war Bismarck geradezu verhasst. Als Wilhelm I. ihn im September 1862 zum preußischen Ministerpräsidenten ernannte, interpretierte die liberale Mehrheit im Abgeordnetenhaus dies als offene Kampfansage. Denn seit seinen ersten Auftritten im Vereinigten Landtag 1847 und noch mehr seit seinen gegenrevolutionären Aktivitäten 1848/49 haftete dem Junker aus Schönhausen der Ruf eines reaktionären Scharfmachers an.“8 Und das Ende seiner Regierungszeit war durchaus auch nicht sehr rühmlich: „Vor allem in linksliberalen Kreisen wuchs nun wieder die Kritik an Bismarcks autoritärem Regierungsstil. Damit einher ging seit den frühen 1880er Jahren ein Gefühl lähmender Stagnation in der Innen- wie in der Außenpolitik. Unter den Zeitgenossen verstärkte sich der Eindruck, dass die Rezepte des alternden Kanzlers, der schon so lange die politischen Geschäfte führte, sich verbraucht hätten und ein frischer Wind vonnöten sei, um die Zukunft des Reiches zu sichern. So verwundert es nicht, dass Bismarcks Entlassung durch Wilhelm II. im März 1890 in weiten Kreisen der Öffentlichkeit mit Erleichterung aufgenommen wurde.“9
Noch einmal ist es Robert Gerwarth, wenn er schreibt: „ In der Übergangsphase vom Kaiserreich zur Republik änderten sich die Bedeutung und Funktion des Bismarck-Mythos grundlegend. Bis 1918 (also bis zum Ende de Ersten Weltkriegs) hatte die mythisch überhöhte Figur Bismarcks dazu gedient, die Deutschen daran zu erinnern, dass das Kaiserreich den Höhepunkt der deutschen Geschichte darstelle und jede Kritik an der Staatsform zugleich auch eine Infragestellung des von Bismarck geschaffenen Nationalstaates bedeute. Nach dem Ende des Weltkrieges wurde er dagegen zu einer politischen Chiffre für das, was das Deutsche Reich für einen von „inneren Reichsfeinden“ begangenen „Verrat“ verloren hatte, nämlich seine Rolle als führende wirtschaftliche und politische Macht auf dem europäischen Kontinent. Gleichzeitig wurde der Mythos dazu benutzt, um den Gedanken wach zu halten, dass die vergangene Größe Deutschlands nicht dem Parlamentarismus, sondern dem Vorhandensein eines überragenden Führers geschuldet sei.“10 Und „der Sieg Preußens in der Schlacht von Königgrätz am 3. Juli änderte alles: Bismarcks riskantes Spiel war aufgegangen, mit einem Schlage war er „der Held des Tages”.“11
Aber, „dass der Mythos um Otto von Bismarck zu einer der wichtigsten Waffen der deutschen Rechten gegen die Republik werden sollte, war im Winter 1918/19 alles andere als offensichtlich.“12
Auch die Quellen, die Sandrine Kott findet, beschreiben, „Bismarck wurde zum Sinnbild eines feudalen und barbarischen Preußens. Während der Bonapartist Victor de Persigny ihn 1850 als „schönen Mann mit angenehmen Umgangsformen”[11] beschrieben und der Republikaner Jules Favre ihm 1870 noch „eine natürliche Unkompliziertheit beinahe bis zur Bonhomie”[12] zugeschrieben hatte, war Bismarck im großen republikanischen Geschichtsbuch von 1929 zu einem „Koloss” geworden, „aus dessen geradem und kühnem Blick seiner blauen Augen die Stärke sprach, der Mut, die Kämpfernatur”, sowie zu einem „skrupellosen Mann der Tat und des Kampfes, (…) mit (einem) einzigem Glauben und Ziel: die Macht; Preuße bis ins Mark”.[13] Mitunter wurde er als Menschenfresser betitelt, wie 1898 nach seinem Tod in dem Lied „Der Oger von Berlin ist tot”,[14] oder als Tier.“13
Eugen Ehrlich: ein Zeitzeuge soll Bismarck relativieren
Eugen Ehrlich soll sich zunächst selbst mit den Worten aus seinem Bändchen „Bismarck und der Weltkrieg“ von 1920 vorstellen:“Vielleicht darf ich diese Schrift mit dem Bekenntnis beginnen, dass in meinem Hause nie ein Bismarckbild gehangen hat. Ich habe die Politik des Eisernen Reichskanzlers fast mein Leben lang aufmerksam verfolgt, und immer mit größter Entschiedenheit verurteilt, auch zu einer Zeit, da sie von aller Welt bewundert worden ist.(…) im Kreise meiner Bekannten habe ich mich stets sehr unumwunden darüber geäußert. (…) Das was ich in der Folge sagen werde, stimmt durchwegs mit dem überein, was ich seitmehr als 30 Jahren bekenne.“14
Der Zeitgenosse Eugen Ehrlich zeichnet Bismarck so: „Es liegt gewiss sehr nahe, die ganze Schuld an dem jammervollen Zusammenbruch des Bismarckschen Werkes seinen Nachfolgern aufzuladen. (Aber)(…)Das „persönliche Regiment“ (Kaiser Wilhelms II) ergab sich doch unmittelbar aus der Verfassung, die Bismarck dem deutschen Reiche gegeben hatte, und für diese Verfassung trägt er die geschichtliche Verantwortung. Man sagt, er habe die deutsche Verfassug ganz auf seine Person zugeschnitten. Das wäre schon arg genug, denn er wußte ja, dass er nicht ewig leben werde. Eine Verfassung muss so sein, dass nicht bloß große Staatsmänner, sondern auch Mittelmäßigkeiten, die ja doch unter den Politikern die überwiegende Mehrzahl bilden, damit arbeiten können;“15 Über Bismarck selber schreibt er: „Wie jeder bedeutende Mann, so war auch Bismarck eine aus viel zu mannigfachen Elementen zusammengesetzte, viel zu sehr verschlungene Natur, als dass er vollständig aus einem Punkte erklärt werden könnte.Aber der Grundzug seines Wesens war preußisch im Sinne der Kaste, die Preußen seit Friedrich II. beherrschte.“16 Und wenn Ehrlich schreibt:„Moralische Skrupel haben den Mann, der eine Depesche fälschte, um einen Krieg zu entzünden, gewiss nicht geplagt.“17, möge dieses Zitat hier genügen, um seinen Beinamen „der Eiserne Kanzler zu erklären. „Der Schwache ist aber doch nur in der Vereinzelung schwach. Er (Bismarck) hatte während der langen Zeit, da er über das deutsche Reich herrschte, so viele gereizt und verletzt, dass er sich gar nicht mehr ohne Grund fortwährend vom cauchemar des coalitions heimgesucht fühlte. Seiner großen Kunst gelang es zwar immer noch, im entscheidenden Augenblicke die Gegner zu trennen. Aber das wurde von Schritt zu Schritt schwieriger. (…) Dabei fehlte ihm gerade wegen der Verachtung, die er stets für die „Imponderabilien“ hegt, jeder versöhnliche, großherzige Zug.(…) Deutschland hatte am Ende der Laufbahn Bismarcks eine Menge von Feinden und keinen einzigen Freund. Die Feinde waren alle echt, denn sie beruhten auf dem Hass, den seine Politik erregt hat. Die Freundschaften waren unecht, denn sie waren nur mit den Regierungen, nicht mit der Gesellschaft geknüpft. Keine Regierung kann sich auf Dauer den gesellschaftlichen Einflüssen entziehen. Darin liegt die Bedeutung der Imponderabilien.“18
„1990 eröffnete das Deutsche Historische Museum eine Ausstellung mit dem vielsagenden Titel „Bismarck: Preußen, Deutschland und Europa”, die Bismarck nicht in erster Linie als „Schmied” der deutschen Einheit darstellte, sondern vielmehr als aufgeklärten Zeugen spezifischer Entwicklungen im Europa seiner Zeit, wie des Übergangs von einer ruralen, landwirtschaftlich geprägten zu einer urbanen, industriell geprägten Welt, der Entwicklung der sozialen Frage und der Einrichtung parlamentarischer Institutionen.“19
„Seit den späten 1960er Jahren war in der deutschen Geschichtsschreibung eine Einstellung
vorherrschend gewesen, die das kaiserliche Deutschland, zumal im Blick auf die Spätphase seiner Existenz ab etwa 1897, zu einer monströsen Schreckgestalt degradiert hatte – einem rückwärtsgewandten, autoritären und demokratiefernen Obrigkeitsstaat, dessen Unfähigkeit zur Einleitung von Reformschritten und zur Realisierung von Modernisierungsmaßnahmen schließlich in die selbstverschuldeten Katastrophen von 1914 bzw. 1918 und deren Jahrzehnte währenden Folgen geführt habe.“20
Der historische Verlauf: Wie es zum Großen Krieg kam – kann man einen solchen Titel heute noch schreiben?
„Das Deutsche Kaiserreich von 1871 bis 1918 hat in der Geschichtswissenschaft immer wieder eine herausgehobene Rolle gespielt. Lange wurde es als Höhepunkt, ja sogar als eine Art Vollendung der deutschen Nationalgeschichte betrachtet, die im „Reichsgründer” Otto v. Bismarck ihre Personalisierung fand. Grundlegend geändert hat sich diese Sichtweise erst seit den 1970er Jahren, als eine jüngere Generation von Historikern begann, die neuere deutsche Geschichte nicht nur der Weimarer Republik als Vorgeschichte des Nationalsozialismus zu betrachten und betont kritisch zu untersuchen.
Dennoch: Das Kaiserreich und der Beginn des Krieges aus Bismarcks Vita
Nach dem Tod seines Vaters 1845 übernahm Bismarck das Landgut und genoss zunächst mit seiner Familie das Leben als Adliger. Doch bald füllte ihn das Landleben nicht mehr aus und so begann er eine Laufbahn als Politiker. Er ließ sich in den Vereinigten Landtag Preußens wählen und gehörte dort zum konservativen Lager, also zu den Politikern, denen es um die Treue zu ihrem König und die Machtposition des Adels ging. Seine erste Rede sorgte für viel Aufsehen und bald wurde auch der König auf ihn aufmerksam. Ab August 1851 vertrat Bismarck Preußen als Gesandter beim Deutschen Bund in Frankfurt und war bis 1862 außerdem preußischer Gesandter am Hof des russischen Zaren in Petersburg.
1862 kam es wegen eines Gesetzesentwurfs zu einem Streit zwischen dem preußischen Parlament – der Volksvertretung – und der Regierung unter König Wilhelm I. Es ging dabei vor allem um die Kontrolle der Armee durch den König und um die Verteilung von Geldern zugunsten des Militärs. Da der König keine Mehrheit im Parlament hatte, konnte er seinen Gesetzesentwurf aber nicht durchsetzen.
So ernannte der König Bismarck zum neuen Ministerpräsidenten, da dieser ihm versprochen hatte, die Ziele des Königs auch ohne die Zustimmung des Parlaments durchzusetzen. Seine erste Rede, die so genannte „Eisen-und-Blut-Rede”, konnte die Politiker zunächst nicht überzeugen. Bismarck setzte sich über die Stimmen der Opposition (also der politischen Gegner) hinweg und verabschiedete das Gesetz trotzdem. Wenige Jahre später, nachdem Preußen unter Bismarcks Führung den Krieg gegen Österreich gewonnen hatte, stimmten die Abgeordneten dem Gesetzesentwurf im Nachhinein doch noch zu. Damit hatte Bismarck nicht nur Straffreiheit für die Regierung erreicht, sondern mithilfe außenpolitischer Erfolge die Probleme in der Innenpolitik beseitigt
„Der Journalist Emile de Girardin sah in Bismarck eine Gefahr für das Deutschland der Aufklärung: „Mit der einen Hand schmeichelt der Oger von Berlin Deutschland, mit der anderen droht er, es gewaltsam zu verschlingen.”[7] Diese Einschätzung äußerte 1870 auch der Germanist Alfred Mezières: „Das friedliche, gemäßigte Deutschland, das wir für das große, wahre Deutschland hielten, von dem wir dachten, dass es mehrheitlich das Land ausmache, wurde von Preußen überwältigt. Dann sahen wir ein ehrgeiziges, gieriges, eroberungslustiges Deutschland, wie es letztlich von Herrn von Bismarcks Hand geformt worden war, sich auf uns stürzen.”[8] Dieses Bild eines guten und sanften, westlichen und rheinischen Deutschlands, das durch Bismarck, den preußischen Menschenfresser slawisch vermuteter Herkunft,[9] verroht worden war, überwog nach der Schlacht von Sedan und der Belagerung von Paris im deutsch-französischen Krieg 1870/71 deutlich.[10]“21
Kriegsende und Ausrufung der Republik
Der Anfang vom Ende des Deutschen Kaiserreichs lässt sich auf den 29. September 1918 datieren.“22
Gegen zwölf Uhr erschien die MSPD-Führung in der Reichskanzlei; der Parteivorsitzende Friedrich Ebert forderte Prinz Max zur Übergabe der Regierungsgeschäfte auf. Nach einer kurzen Kabinettsberatung „übertrug” der Kanzler sein Amt auf Ebert.
Der neue Regierungschef ließ die Oktoberregierung weitgehend unverändert, stellte aber dem preußischen Kriegsminister und dem für Berlin zuständigen Militärbefehlshaber sozialdemokratische Kontrolleure an die Seite. Ebert wandte sich sogleich mit mehreren Aufrufen an die Öffentlichkeit, in denen er versprach, eine „Volksregierung” zu bilden, Frieden zu schließen und die Freiheit zu sichern. Er beschwor die Bürger, die Nahrungsmittelversorgung sicherzustellen, die Straßen zu verlassen und für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Eine verfassunggebende Nationalversammlung sei zu wählen – erstmals unter Beteiligung der Frauen. Die Soldaten sollten so rasch wie möglich zu ihrer Familie und zur Erwerbsarbeit zurückkehren. Das Eigentum müsse vor „willkürlichen Eingriffen” geschützt werden.
Aber die Massen erwarteten eine klarere politische Orientierung. Gegen zwei Uhr nachmittags wurde Philipp Scheidemann von Parteifreunden genötigt, an ein Fenster des Reichstags zu treten und zu der versammelten Menge zu sprechen. Er ließ sich spontan dazu hinreißen, nicht nur das Ende der Hohenzollernherrschaft und des „Militarismus” zu verkünden, sondern auch die „deutsche Republik” auszurufen. Reichskanzler Ebert werde eine Regierung aller sozialistischen Parteien bilden. Die Menge reagierte begeistert, Ebert jedoch war entsetzt: „Du hast kein Recht, die Republik auszurufen! Was aus Deutschland wird, ob Republik oder was sonst, entscheidet eine Konstituante (verfassunggebende Nationalversammlung – Anm.d.Red.)!”, schrie er seinen Parteifreund an.
Nur zwei Stunden später proklamierte der „Spartakus”-Führer Karl Liebknecht vom Balkon des Berliner Stadtschlosses aus die „freie sozialistische Republik Deutschland”. Er erklärte die „Herrschaft des Kapitalismus” für gebrochen und propagierte eine „neue staatliche Ordnung des Proletariats” mit dem Ziel der „Vollendung der Weltrevolution”.
Um die Linksradikalen durch ein rasches Regierungsbündnis zwischen MSPD und USPD auszumanövrieren, machte Ebert der USPD-Führung erhebliche Zugeständnisse: Grundsatzentscheidungen sollte eine Vollversammlung der deutschen Arbeiter- und Soldatenräte treffen, die verfassunggebende Nationalversammlung vorläufig zurückgestellt werden. Auf dieser Basis wurde am Vormittag des 10. November ein neues, von beiden sozialdemokratischen Parteien paritätisch besetztes „entscheidendes Kabinett” gebildet, dem die bisherigen Fachminister als „Gehilfen” unterstanden.“23
Der Bismarck-Mythos als deutsches Image heute
Während niemand die Negativität der Ikonen des zweiten Weltkriegs in Frage stellt, scheinen zum Zeitpunkt des hundertjährigen Jubiläums des Ende des auch so genannten Großen Krieges mit dessen Protagonisten niemand mehr etwas zu tun haben zu wollen. – oder ist es eher der heutige Geist der neuen Gewinnmaximierung, dem jede politische Entscheidung untergeordnet wird und, entsprechend, jedes noch so kleine Fleckchen Boden in Deutschland eher zur Spekulation freigegeben wird als es in historische Meinungsbildung zu investieren?
„ Das Bild von Bismarck als europäischem Staatsmann entstand vor allem postum. Nach seinem Tod wurde Bismarck in Deutschland regelrecht verehrt, was sich in der Errichtung unzähliger Denkmäler durch Bürgerinitiativen widerspiegelte.[43] Obwohl das Bismarck-Denkmal seinerzeit zweifellos Ausdruck des deutschen Nationalismus war, reiht es sich in die europaweite Vervielfältigung öffentlicher Denkmäler seit den 1830er Jahren ein, durch die sich die Nationen eine Möglichkeit der Selbstverehrung schafften. Während es in Frankreich jedoch keinen der Monumentalisierung Bismarcks entsprechenden Trend gab oder gibt, ist beispielsweise der Kult um Garibaldi in Italien Ende des 19. Jahrhunderts durchaus vergleichbar.[44] „24
Die in dieser Zeit entstandenen Statuen scheinen jedoch gerade zum 100-jährigen Ende des ersten Weltkriegs in Deutschland nicht sehr beliebt zu sein, wenn Josef Joffe seinen Artikel in der Zeit Nr.35 / 2017 betitelt: „Weg mit Bismarck – Statuen lassen sich plattmachen. Die Geschichte bleibt, Verdummung steigt“25 weist schon dieser auf ein schwieriges Verhältnis zu unserer Geschichte. Wieviel Raum soll ihr zugestanden werden? Was ist erhaltenswert, was nicht? „Bismarck, ein autoritärer Knochen, hat Sozialisten und Katholiken verfolgt.“26 Also weg mit ihm? Aber „macht die Umbenennung der Sansibastraße im Berliner Afrikanischen Viertel den wilhelminischen Imperialismus ungeschehen? Die Frage beantwortet sich selber. Es hat keinen Sinn sich vor der Geschichte zu verstecken, indem man Statuen plattmacht. Sie muss von Generation zu Generation wiederentdeckt, seziert und debattiert werden.“27
Carolin Emcke sagt in ihrer Dankesrede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 2016:““Sprechend und handelnd schalten wir uns in die Welt der Menschen ein, die existierte, bevor wir geboren wurden“, schrieb Hannah Arendt in der Vita Activa, „und dieyse Einschaltung ist wie eine zweite Geburt, in der wir die nackte Tatsache des Geborenseins bestätigen, gleichsam die Verantwortung dafür auf uns nehmen.“
Wir dürfen uns nicht wehrlos und sprachlos machen lassen. Wir können sprechen und handeln. Wir können die Verantwortung auf uns nehmen. Und das heißt: Wir können sprechend und handelnd eingreifen in diese sich zunehmend verrohende Welt.
Dazu braucht es nur Vertrauen in das, was uns Menschen auszeichnet: die Begabung zum Anfangen. Wir können hinausgehen und etwas unterbrechen. Wir können neu geboren werden, in dem wir uns einschalten in die Welt. Wir können das, was uns hinterlassen wurde, befragen, ob es gerechtgenug war, wir können das was unsgegeben ist, abklopfen, ob es taugt, ob es inklusiv und frei genug ist – oder nicht.
Wir können immer wieder anfangen, als Individuen, aber auch als Gesellschaft.“28
Und – es sei mir gestattet – wir können uns an Vorbildern aus anderen Zeiten und Ländern orientieren. Darum noch einmal Eugen Ehrlich: „In den Gesprächen mit meinen deutsch-nationalen Freunden machte ich mir oft den Spaß mit den Worten zu beginnen:“ Der größte Staatsmann des 19. Jahrhunderts …“ Jeder erwartete nun, ich werde Bismarck sagen, – ich sagte aber Gladstone. Und es steckte Ernst hinter diesem Spaß. Ich halte Gladstone für den weitaus größeren Staatsmann. Er war der erste Politiker überhaupt, der ganz bewußt, wenn auch nich durchwegs und nicht überall, aber doch soweit es in seiner Zeit möglich war, sittliche Grundsätze in die Politik eingeführt hatte. Und damit kündigte er der Menschheit eine neue Zeit an.“29
Note
1 Paul Feyerabend, Wider den Methodenzwang, S.13, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M.,1983.
2 Colleen M. Schmitz, Judith Elisabeth Weiss: “Sprache“, in: Sprache – Ein Lesebuch von A – Z, Perspektiven aus Literatur, Forschung und Gesellschaft, S. 21, hrsg. von Colleen M. Schmitz, Judith Elisabeth Weiss für das Deutsche Hygiene-Museum, Dresden anlässlich der Ausstellung „Sprache – Welt der Worte, Zeichen, Gesten“, Dresden 2016.
3 Robert Gerwarth: „Bismarck und die Weimarer Republik“, ApuZ, 50-5/ 2008 S.19 auf: homepage Bundeszentrale für politische Bildung: http://www.bpb.de/suche/?suchwort=Robert+Gerwarth%2C+Bismarck+und+die+Weimarer+Republik.
4 Peter L. Berger/ Thomas Luckmann: „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit – eine Theorie der Wissenssoziologie“, S.41, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M., 1994
5 Ibid, p. 41.
6 Robert Gerwarth: „Bismarck und die Weimarer Republik“, ApuZ, 50-5/ 2008 S.19 auf: homepage Bundeszentrale für politische Bildung: http://www.bpb.de/suche/?suchwort=Robert+Gerwarth%2C+Bismarck+und+die+Weimarer+Republik
7 R.Gerwarth zitiert Kuno Graf von Westarp: „Der 18.Januar“, in: Die Tradition vom 5.4.1919, S.19 in seinem Artikel in: „Bismarck und die Weimarer Republik“, ApuZ, 50-5/ 2008 S.19 auf: http://www.bpb.de/suche/?suchwort=Robert+Gerwarth%2C+Bismarck+und+die+Weimarer+Republik.
8 Volker Ulrich, Der Mythos Bismarck und die Deutschen, auf http://www.bpb.de/apuz/202983/der-mythos-bismarck-und-die-deutschen vom 15. Februar 2018.
9 ebenda.
10 R. Gerwarth, Bismarck und die Weimarer Republik, auf http://www.bpb.de/suche/?suchwort=Robert+Gerwarth%2C+Bismarck+und+die+Weimarer+Republik ApuZ 50-51/2008.
11 Ibidem.
12 Ibidem.
13 Sandrine Kott „Bismarck-Bilder in Frankreich und Europa“, 20.3.2015, auf http://www.bpb.de/apuz/202985/bismarck-bilder-in-frankreich-und-europa.
14 Eugen Ehrlich „Bismarck und der Weltkrieg“, S.5, Verlag: Art. Institut Orell Füßli, Zürich, 1920 in einem Nachdruck von „forgotten books“, www.forgottenbooks.com.
15 Ibidem, p.6.
16 [1] Ibidem, p.7.
17 Ibidem, p.9.
18 Ibidem, p. 13ff.
19 Sandrine Kott „Bismarck-Bilder in Frankreich und Europa“, 20.3.2015, auf http://www.bpb.de/apuz/202985/bismarck-bilder-in-frankreich-und-europa.
20 Frank-Lothar Kroll „Geburt der Moderne“, Leseprobe,
http://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/163007/geburt-der-moderne.
21 Sandrine Kott, Bismarck-Bilder in Frankreich und Europa, 20.3.2015 von http://www.bpb.de/apuz/202985/bismarck-bilder-in-frankreich-und-europa.
22 Sandrine Kott, Bismarck-Bilder in Frankreich und Europa, 20.3.2015 von http://www.bpb.de/apuz/202985/bismarck-bilder-in-frankreich-und-europa.
23 Ibidem.
24 Sandrine Kott, Bismarck-Bilder in Frankreich und Europa, 20.3.2015 von http://www.bpb.de/apuz/202985/bismarck-bilder-in-frankreich-und-europa
25 Josef Joffe, Weg mit Bismarck, Die Zeit Nr 35 /2017, von
http://www.zeit.de/2017/35/denkmaeler-bismarck-friedrich-geschichte.
26 Ibidem.
27 Ibidem.
28 Carolin Emcke, aus ihrer Rede zur Vergabe des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an sie 2016, S.62f
hrsg vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Frankfurt a.M. 2016.
29 Eugen Ehrlich, Bismarck und der Weltkrieg, S.32, Zürich, 1920 in einem Nachdruck von „forgotten books“.
Bibliografie
ARISTOTELES, Nikomachische Ethik, Reclam Verlag, Stuttgard, 1983;
BERGER, Peter L.und LUCKMANN, Thomas, Die gesellschaftliche Konstruktin der
Wirklichkeit – eine Theorie der Wissenssoziologie, Fischer Verlag, Frankfurt a.M., 1994;
BUDE, Heinz, Gesellschaft der Angst, Verlag des Hamburger Instituts für SozialforschungHamburger Edition, E-Book-Ausgabe, 2014;
CAROFIGLIO, Gianrico, Con parole precise – Breviario di scrittura civile, Laterza Editori, Roma-Bari, 2015;
EHRLICH, Eugen, Bismarck und der Weltkrieg, Zürich 1920 in einer Wiederauflage von forgotten books, www.ForgottenBooks.com London 2015;
EMCKE, Carolin, Gegen den Hass, Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2016;
IDEM, Ansprachen aus Anlass der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2016, Herausgeber;
FEYERABEND, Paul: Wider den Methodenzwang, Suhrkamp Verlag, Frankfurt, 1983;
KAEHLBRANDT, Roland: Logbuch Deutsch – wie wir sprechen, wie wir schreiben, Klostermann Verlag, Frankfurt a.M.2016;
MEAD, George H. „Geist, Identität und Gesellschaft“, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1995;
SCHÜTZ, Alfred: „Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt – Eine Einleitung in die verstehende Soziologie“ Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1993.